Interview mit Hardy Kettlitz

von Bernd Jooß

[Das nachfolgende Interview führte Bernd Jooß im Frühjahr 2021 mit Hardy Kettlitz für die Zeitschrift phantastisch!, wo es in Ausgabe 83 erschien.]

Hardy Kettlitz ist ein Name, über den sicher viele Leser der phantastisch! schon einmal gestolpert sind, selbst wenn sie nicht wissen, wer genau sich dahinter verbirgt. Hardy Kettlitz wurde 1966 in Angermünde (jetzt Brandenburg) geboren, lebt jedoch seit 1969 in Berlin und tummelt sich seit etlichen Jahren in der deutschen Phantastik-Szene. Er war Mitbegründer des ostberliner SF-Clubs Andymon (1985) und Herausgeber des ersten offiziell offsetgedruckten DDR-Fanzines tranSFer (ab 1987). Neben seiner Tätigkeit als Redakteur und Herausgeber ist er aber vor allem für seine herausragende Arbeit bei der Buchgestaltung bekannt, wie z. B. für das Magazin ALIEN CONTACT und die Verlage Festa und Golkonda. Anfang 2020 ging er mit seinem eigenen Verlag Memoranda an den Start. Höchste Zeit, um mit ihm »ein ernstes Wörtchen« über Science Fiction, die Buchbranche und alles was sonst noch dazu oder nicht dazu gehört zu sprechen.

Hallo Herr Kettlitz! Ihre beruflichen Stationen sind sehr abwechslungsreich, sie reichen vom Buchgestalter über Chefredakteur zu Herausgeber und Verleger. Erzählen Sie doch mal etwas zu Ihrem Werdegang!

Mein beruflicher Werdegang sieht eigentlich ganz anders aus. Nach einem erfolgreichen Wirtschaftsinformatikstudium war ich ein paar Jahre in einem westberliner Wirtschaftsverlag zuletzt als Redaktionsleiter, eine Zeit lang beim Tagesspiegel und dann zwei Jahrzehnte in einem Baufachverlag, davon sehr viele Jahre als Projektmanager für den Messekatalog der größten deutschen Immobilienmesse. Seit 2016 leite ich die Herstellung beim Festa Verlag und sorge dafür, dass aus Manuskripten Bücher werden. Die von Ihnen genannten Tätigkeiten habe ich in meiner Freizeit ausgeübt, was den unschlagbaren Vorteil hat, dass ich mich dabei mit Projekten beschäftigten kann, die mir persönlich wichtig sind und auch Spaß machen. Das Magazin ALIEN CONTACT, das ich von 1990 bis 2005 als Text- bzw. Chefredakteur betreut und die meiste Zeit layoutet habe, war dabei sehr wichtig für mich, weil ich viel über Textarbeit und Gestaltung gelernt habe.

Herausragend ist Ihre Arbeit als Buchgestalter, die Typografie und das Layout von Büchern, wie kam es zu dieser Liebe?

Ich mag schöne Bücher. Und wenn ich selbst die Möglichkeit habe, an einem Buch mitzuwirken, dann möchte ich auch, dass es der Leser gern zur Hand nimmt.

Wie gehen Sie bei der Gestaltung eines Buches vor, auf was achten Sie dabei am meisten und wie gelangen Sie zu der Entscheidung, welche Schrift und welches Layout das richtige ist?

Das Aussehen eines Buches ist nie die Entscheidung eines einzelnen, da gibt es Überlegungen der Verleger/innen oder Herausgeber/innen, der Titelbildgestalter/innen, oftmals auch des Marketings. Besonders gern arbeite ich mit der großartigen Grafikerin benSwerk zusammen, die anscheinend über unerschöpfliche Kreativität verfügt. Von den fast 800 Büchern, die ich bisher gesetzt und gestaltet habe, sind weit über 100 gemeinsam mit ihr entstanden.

Schrift und Layout sollten möglichst zum Inhalt des Buches passen, aber trotzdem dem Leser den größtmöglichen Lesekomfort bieten, aber auch ästhetisch ansprechend sein. Der eigentliche Schriftsatz ist keine Kunstform, sondern eher ein Handwerk, bei dem es Traditionen und Regeln gibt, die man kennen und beachten sollte.

Welches Buch war in Ihrer langen Karriere das Herausforderndste bei der Gestaltung?

Da fallen mir spontan drei Titel ein: Zum einen das SF-Magazin PANDORA, das von 2007 bis 2009 im Shayol Verlag erschienen ist – da hatte ich weitgehend freie Hand, um mich bei der Gestaltung auszutoben. Zum anderen besonders aufwendig und schön war auch Bram Stokers »Dracula – Große kommentierte Ausgabe« (herausgegeben von Leslie S. Klinger) mit Hunderten von Randnoten und fast 400 Abbildungen, die 2019 bei FISCHER Tor erschienen ist. Sehr schön ist auch das großformatige Buch »Köder« von Chuck Palahniuk bei Festa geworden, das von acht amerikanischen Comic-Künstlern illustriert wurde.

Hat die zunehmende Digitalisierung auf dem Buchmarkt, speziell in Bezug auf E-Books, Auswirkungen auf die Gestaltung von gedruckten Büchern? Was sind hierbei die Unterschiede? Und was halten Sie von der Entwicklung?

Auswirkungen der Digitalisierung auf die Gestaltung der gedruckten Bücher kann ich nicht erkennen. Leider ist die Gestaltung von E-Book immer noch in nur sehr begrenztem Maße möglich. Das Problem dabei ist die große Anzahl unterschiedlicher Lesegeräte, seien es herkömmliche E-Book-Reader, Tabletcomputer oder Smartphones, zu denen ein E-Book optimal kompatibel sein muss. Wunderschöne Layouts, die man z.B. für ein iPad entwickelt, sind wiederum auf einem kleinformatigen Reader mit E-Ink-Display kaum oder gar nicht darstellbar. Der kleinste gemeinsame Nenner für alle – vor allem auch ältere – Geräte ist der bereits 2007 entwickelte Standard EPUB 2.0, und der ermöglicht leider nicht allzu viele Gestaltungen. Daher ist es immer wieder eine Herausforderung, Gestaltungsmöglichkeiten herauszufinden. Ich persönlich lese gern E-Books, vor allem dann, wenn die zugehörigen gedruckten Ausgaben nicht besonders schön sind.

Denken Sie, dass die Großverlage zu wenig auf die Gestaltung und gute Lesbarkeit ihrer Bücher achten?

Großverlage sind vor allem Buchindustrie und damit zahlreichen wirtschaftlichen Zwängen unterworfen. Da muss die Herstellung schnell gehen und darf nicht viel kosten. Man konzentriert sich vor allem bei der Gestaltung auf die Spitzentitel, bei denen man ein Bestsellerpotenzial erhofft. Es kann dann oft vorkommen, dass sich die »nicht so wichtigen Titel« sehr ähnlich sehen oder die Hersteller gar nicht die Zeit haben, jeden Umbruch genauer anzuschauen. Trotzdem haben die Großverlage inzwischen einen ziemlich hohen Standard, was Lesbarkeit und Gestaltung angeht. Defizite sehe ich da eher bei Kleinverlagen und Selfpublishern, die in sehr vielen Fällen das Handwerk des Büchermachens nicht beherrschen.

Sie waren lange Mitarbeiter im Golkonda Verlag gewesen, der nun zum Europa Verlag gehört. Leider musste dieser 2019 Insolvenz anmelden. Seitdem ist es um Golkonda recht still geworden. Können Sie etwas zu dem Stand der Dinge dort sagen?

Meine Mitarbeit beim Golkonda Verlag, bei dem ich von Anfang an dabei war, endete im Sommer 2019. In den Monaten davor gab es besorgniserregende Defizite in der Kommunikation, sodass selbst Mitarbeiter manche Entscheidungen der Geschäftsführung erst aus Pressemitteilungen erfahren haben. Das hat sich bisher nicht großartig geändert, weshalb ich über den Stand der Dinge nichts sagen kann.

Schon länger haben Sie innerhalb von Golkonda das Imprint Memoranda verantwortet, das sich auf Sekundärliteratur spezialisiert hat. Im Zuge der Umstrukturierung beim Europa Verlag haben Sie den Memoranda Verlag gegründet. Wie kam es zu diesem Schritt?

Viele Sekundärliteraturprojekte habe ich bereits seit 2000 im Shayol Verlag betreut und herausgegeben und bin dann 2015 zu Golkonda gewechselt, mit dem von mir herausgegebenen Imprint Memoranda. Nach dem Verkauf von Golkonda nach München gab es schon bald bei der neuen Geschäftsführung wirtschaftliche Erwägungen, die meine Entscheidungsfreiheit bei der Buchreihe einschränkten. Zum Glück lagen sämtliche Rechte an den Titeln und dem Namen Memoranda bei mir, sodass der Schritt, einen eigenen Verlag zu gründen, nicht allzu schwierig war. Tatsächlich hat mich der Europa Verlag dabei auch nach Kräften unterstützt.

Seit der Gründung Ihres eigenen Verlages veröffentlichen Sie auch Romane und Erzählungen und gleichen sich damit dem Golkonda Verlag an. Haben Sie vor, diesen Bereich weiter auszubauen, sozusagen das Werk von Hannes Riffel und dem Golkonda Verlag in seiner ursprünglichen Form fortzuführen?

Memoranda ist um mehrere Größenordnungen kleiner als Golkonda, sowohl was die Zahl der Titel als auch die der Mitarbeiter betrifft. Hannes Riffel hat bei Golkonda großartige Arbeit geleistet, damit kann und will ich nicht konkurrieren. Memoranda legt einen größeren Schwerpunkt auf Sachbücher. Die Herausgabe der Werkausgaben von Angela und Karlheinz Steinmüller sowie von Erik Simon habe ich im Grunde vom Shayol Verlag übernommen. Mit Michael Marrak zum Beispiel verbindet mich eine inzwischen 25-jährige Freundschaft, die nun auch zu neuen Buchausgaben führt. Golkonda hat außerdem überwiegend Übersetzungen aus dem Englischen und Russischen veröffentlicht, die bei Memoranda bisher eher die Ausnahme sind.

Eines Ihrer Steckenpferde ist die Herausgabe der Reihe SF Personality, Monografien zum Werk von SF-Autoren. Wie gehen Sie bei der Auswahl vor, und wie gestaltet sich daraufhin die Recherche?

Die Reihe gibt es inzwischen seit 1994 und es sind bisher 28 Ausgaben erschienen, 17 Bände davon habe ich selbst verfasst oder war daran als Autor beteiligt. Dabei wird für gewöhnlich das Gesamtwerk eines ausgewählten Schriftstellers vorgestellt, also sämtliche Romane und Erzählungen. Insbesondere bei Autoren mit einem sehr umfangreichen Werk wie Ray Bradbury, Isaac Asimov oder Robert Silverberg bedeutet das sehr viel Lesestoff und Arbeit. Deshalb wählen die Autoren der Ausgaben auch nur Schriftsteller aus, die ihnen besonders am Herzen liegen und die eine wichtige Rolle in der Geschichte der SF-Literatur gespielt haben. Das Gesamtwerk eines Schriftstellers liest man nicht eben mal in einem halben Jahr und schreibt ein Buch darüber, an manchen SF Personality-Ausgaben haben die Autoren vier bis sechs Jahre gearbeitet, in zwei Fällen sogar zehn Jahre. Wichtig dabei ist, dass auch die Nebenprojekte und unwichtigeren Texte vorgestellt werden, denn auch da verbergen sich oftmals Perlen, die es wiederzuentdecken gilt.

Außerdem haben Sie eine Chronik der Hugo Awards verfasst, einem der wichtigsten Genre-Preise. Wie sind Sie bei diesem Großprojekt vorgegangen und haben Sie die darin aufgeführten Werke alle selbst gelesen?

An den drei Bänden zu den Hugo Awards habe ich gut zehn Jahre gearbeitet. Ursprünglich hatte ich bereits ab 2001 eine Kolumne in ALIEN CONTACT, worin ich jeweils die Hugo-Gewinner eines Jahres vorgestellt habe. Nachdem ALIEN CONTACT eingestellt worden war, kam ich ein paar Jahre später auf die Idee, aus dieser Kolumne ein Buchprojekt zu machen, das sich schließlich zu rund 1000 Buchseiten in drei Bänden ausgewachsen hat. Das bedeutete viel Lesestoff und jede Menge Recherche, aber auch viel Erkenntnisgewinn, denn ich wollte die angeblich wichtigsten SF-Bücher kennen. Mit drei Ausnahmen, bei denen mich Christian Hoffmann unterstützt hat, habe ich natürlich auch alle Hugo-Gewinner (und sogar viele Nominierte) gelesen. Das war nicht immer eine Freude, da sehr unterschiedliche Werke den Preis gewonnen haben. Viel Spaß bei der Recherche haben mir aber auch die sogenannten »Nebenpreise« zu Themen wie Fandom, Film oder Podcasts gemacht, denn da gab es unglaublich viel Interessantes zu entdecken.

Was sind in Ihren Augen die wichtigsten SF-Werke und welche sind am meisten überbewertet?

Die »Wichtigsten« oder »Besten« zu benennen ist kaum möglich, weil die SF inzwischen eine so lange und breit gefächerte Geschichte hat, dass es einfach zu viele Bücher gibt, um eine Auswahl zu treffen. Wichtig sind aber zweifellos die Bücher, die eine große Leserschaft erreichen und damit eine Wirkung erzielen, wie zum Beispiel neue Denkanstöße zu geben oder neue Sichtweisen auf allgemeine Probleme zu ermöglichen. Tatsächlich bieten meiner Meinung nach die führenden Genre-Literaturpreise eine ganz gute Orientierung, wenn auch nicht in jeden Fall. Ob ein Werk überbewertet ist, hängt fast immer von der Lesebiografie und dem persönlichen Geschmack des Bewertenden ab. Mein persönliches Lieblingsbuch, unabhängig von seiner Qualität oder literarischen Bedeutung, ist »Die Mars-Chroniken« von Ray Bradbury.

Seit 2019 geben Sie Das Science Fiction Jahr mit heraus, nachdem es kurz so ausgesehen hat, dass dieses Prestigeprojekt nicht weitergeführt werden könnte. Ist das Jahrbuch nun für die nächsten Jahre gesichert und wie sammeln Sie die Beiträge dafür?

In so schwierigen Zeiten wie jetzt, in denen die Verlagsszene durcheinandergewirbelt wird, ist leider nichts sicher. Aber durch die großartige Unterstützung der Leser und Fans bei der Crowdfunding-Kampagne im Dezember 2019 sieht es gut aus und lässt uns berechtigt hoffen, dass wir Das Science Fiction Jahr noch viele Jahre herausgeben können. Die einzelnen Beiträge werden durch die Redaktion gesammelt. Wir überlegen uns zunächst gemeinsam ein Schwerpunktthema für eine Ausgabe, das möglichst aktuell und für die Leser interessant ist. Dann recherchieren wir, wer zu diesem Thema über Kompetenzen verfügt und sprechen Autoren gezielt an. Manchmal werden auch unaufgefordert Manuskripte eingeschickt, über die wir dann beratschlagen, ob sie ins Buch passen oder nicht. Im Moment können wir uns vor Beiträgen kaum retten und müssen leider gelegentlich auch eine Absage erteilen, damit das Jahrbuch nicht aus den Nähten platzt.

Allgemein scheint Ihnen die Sekundärliteratur sehr wichtig zu sein. Sehen Sie da in Deutschland noch Nachholbedarf?

Einen gewaltigen. Im akademischen Bereich gibt es in den letzten Jahren immer mehr Arbeiten zur Phantastik, die sich aber oft nur mit ausgewählten Teilbereichen beschäftigen. Echte Spezialisten, die über ein fundiertes Wissen zur Geschichte der Phantastik verfügen, gibt es aber leider in Deutschland nur sehr wenige. Im englischsprachigen Raum sieht es da deutlich besser aus, was sicherlich auch mit der Akzeptanz der Phantastik im akademischen Bereich zu tun hat. Sachbücher, die sich eher an den interessierten Fan wenden, gibt es leider noch viel weniger. Dieter von Reeken leistet mit seinem Verlag großartige Arbeit. Und wir bemühen uns bei Memoranda auch nach Kräften, immerhin besteht mehr als die Hälfte unseres Programms aus Sachbüchern.

Seit Dezember 2020 gibt es auch einen Podcast von Ihnen. Wie kam es zur Gründung und wen möchten Sie damit erreichen?

Als Verleger und Herausgeber kommt man mit vielen interessanten Personen in Kontakt, die jede Menge zu erzählen haben. Nicht alles eignet sich für die Schriftform. Der Memoranda Science Fiction Podcast, den ich gemeinsam mit Dominik Irtenkauf aufnehme, soll zum einen über unsere Memoranda-Autoren informieren, zum anderen aber auch aktuelle Themen der SF und des Büchermachens präsentieren. Das ist zum einen ein kostenloser Service für unsere Leser, macht aber vielleicht auch ein paar Leute auf unseren Verlag aufmerksam, der nicht allzu viele Mittel für anderweitige Werbung in den Medien hat. Leider hat uns die Corona-Pandemie daran gehindert, allzu viele Interviewpartner persönlich zu treffen, daher mussten wir uns häufig mit Telefonaten behelfen. Der Podcast erscheint staffelweise, immer zehn Folgen im Wochentakt, sobald wir wieder zehn neue aufgenommen haben. Zu finden ist der Podcast übrigens hier auf www.memoranda.eu sowie bei Spotify und iTunes.

Womit beschäftigen Sie sich abseits der Fantastik? Haben Sie überhaupt noch die Zeit für andere Interessen?

Ich höre schon immer sehr viel Musik, vorzugsweise von Vinyl. In Berlin gibt es zum Glück viele Plattenläden, in denen fast jede Neuerscheinung zu finden ist. Vor vielen Jahren habe ich selbst einige Stücke komponiert, unter anderem die Soundtracks für zwei Programme des Zeiss Großplanetariums in Berlin. Dafür fehlt mir jetzt leider die Zeit. Außerdem sorgt unser Hund Jerry dafür, dass ich nicht allzu viel vor dem Computer sitze.

Welches Lieblingsprojekt würden Sie gerne realisieren, wenn es keine finanziellen oder sonstigen Beschränkungen gäbe?

Ich würde gern grundlegende englischsprachige Sachbücher, die ich für sehr wichtig halte, in deutscher Übersetzung bringen. Und vielleicht eine Reihe literarischer SF-Klassiker, die es verdient hätten, in schönen Hardcoverausgaben zu erscheinen. Vielleicht ergibt sich ja das eine oder andere Projekt, wir werden sehen.